Die Wahrheit über die Ausbildung zum Hörakustiker

Natürlich geht es in diesem Beitrag nur um meine Sicht der Dinge.


Das  liebe Geld…

Die erste bittere Pille die man als HörakustikerIn oder als Hörakustiker-Azubi schlucken muss, ist, dass man gnadenlos unterbezahlt ist. Das ist natürlich auch in anderen Berufen so, z.B. in Pflegeberufen. Die Akustiker-Branche zieht dort einwandfrei mit. Vor allem die größeren Ketten. Als Azubi verdient man kaum mehr als 300 bis 600 Euro netto (es wird auch mit den Ausbildungsjahren kaum merklich mehr, obwohl man ja mehr Aufgaben und Verantwortung bekommt…) und als ausgewachsener HörakustikerIn liegt das Übernahmegehalt (branchenüblicherweise) bei 1700 Euro brutto. Was davon übrig bleibt kann sich jeder denken oder hier ausrechen.  Offenkundig ist es auch vielen Betrieben ganz recht, wenn man durch die Gesellenprüfung durchrasselt. Warum? Weil sie dich dann ein halbes Jahr weiter wie einen Azubi bezahlen können, obwohl du das gleiche machst wie ein Geselle.

Wieso das so ist?

Als Arbeitgeber will man natürlich die Kosten für den Betrieb klein halten. Das betrifft auch die Bezahlung der MitarbeiterInnen. Die Nachteile dabei sind – aus meiner Sicht – einfach grenzenlos. Um nur eine Handvoll zu nennen: chronische Unzufriedenheit der MitarbeiterInnen wegen geringer Wertschätzung, gutes Fachpersonal bleibt natürlich nicht (hohe Fluktuation), hohe Kosten der immer wieder erneuten Einarbeitung des wechselnden Personals, MitarbeiterInnen können nicht in Großstädten wohnen (mit dem Gehalt kann man in München oder Hamburg nicht mal annähernd eine Wohnung bezahlen – seriously), geringe Motivation bei der Arbeit oder es werden sich einfach mal keine Fachkräfte mehr geleistet, sondern nur noch ausschließlich Kundenbetreuer (Augen auf bei der Akustikerwahl).

Hörakustiker verfügen über keinen Tarifvertrag. Ich persönlich kenne keinen Hörakustikbetrieb der einen Betriebsrat hat. Ehrlicherweise muss ich aber auch sagen, dass ich keinen Akustiker kenne der Mitglied in einer Gewerkschaft ist. Das ist der Schlüssel der Arbeitnehmervertretung. Für mich ist es kaum nachvollziehbar, dass kein Tarifvertrag existiert. Es gibt genug Hörakustiker in diesem Land, die über genügend Vernetzung verfügen und sich in einer Gewerkschaft engagieren können. Seitens der Arbeitgeber versteht man es aber auch gut, aufblühende gewerkschaftliche Aktivitäten im Keim zu ersticken und Betriebsräte zu unterbinden.

Die Arbeitsbedingungen

Nicht jeder Ausbildungsbetrieb verfügt über einen Meister. Ja ich weiß, dass in Deutschland Meisterpflicht herrscht. Dennoch kenne ich mehr als einen Betrieb wo das nicht der Fall ist. Als Hörakustik-Azubi hast du ein Recht darauf, dass ein MeisterIn anwesend ist. Besser noch: ohne einen Meister in der Filiale darf die Filiale gar nicht existieren. Wenn du in einem Betrieb arbeiten solltest der Optik und Akustik in einer Filiale vereint muss dich ein Hörakustikmeister ausbilden. Ja. Wirklich.

Die Ausbildungsqualität

Die Qualität der Ausbildung variiert von Fachgeschäft zu Fachgeschäft extrem. Es kommt immer auf den AusbilderIn und die Kolleginnen und Kollegen an. Ein Wechsel des Fachgeschäfts kann oft Wunder wirken. Aber zurück zum AusbilderIn: Der Ausbilder ist – wie der Name schon sagt – dazu da dich auszubilden. Das ist sein/ihr Job. Natürlich muss er oder sie auch noch eine Filiale leiten und Kunden betreuen. Vollkommen klar. Aber der Azubi darf dabei nicht auf der Strecke bleiben. Wenn der Ausbilder keinen Bock auf einen Azubi hat soll er auch keinen Auszubildenden annehmen. Fertig.

Klar, es gibt sie noch: wundervoll engagierte Ausbilderinnen und Ausbilder die sich wöchentlich extra Zeit für ihre Azubis freischaufeln (so sollte es eigentlich überall sein) und tatsächlich Ausbildung machen. Was man zwischen den Berufsschulblöcken in der Filiale machen soll steht in einem Extraheft was in der Landesberufsschule in Lübeck ausgehändigt wird. Es wäre nahezu traumschön wenn sich alle MeisterInnen daran halten würden. Lass dich auf gar keinen Fall mit „das hat mein Meister damals auch nicht mit mir gemacht“ oder „das lernst du in der Schule“ abspeisen. Ne. Was in dem Heft steht steht in dem Heft. Nicht ohne Grund.

Merkwürdigerweise befinden sich nahezu alle Hörakustik-Betriebe in der Innung und diverse weiteren Gesellschaften die sich eine hohe Ausbildungsqualität auf die Fahne schreiben. Wo diese Einschätzung herkommt ist intransparent und mir persönlich nicht klar. Sicher nicht von einer anonymisierten Befragung der Azubis in der Berufsschule in Lübeck.

Die Berufsschule

Der zweite Ausbildungsabschnitt wird in der Berufsschule bestritten.  In Deutschland gibt es die bundesoffene Landesberufsschule für Hörakustiker und Hörakustikerinnen in Lübeck und relativ neue Berufsschulklassen in Hörakustik am Friedrich-Albert-Lange-Berufskolleg. Ich persönlich kann nur von der Berufsschule in Lübeck berichten. In meiner gesamten Schullaufbahn (1 Grundschule, 2 Gymnasien, 1 Universität und 1 Berufsschule) muss ich sagen, dass diese Bildungseinrichtung die mit Abstand am besten ausgerüstete ist! Klar, man braucht einen Haufen Technik, Maschinen, PCs, Labore… und siehe da – alles da! Auch tatsächlich neue Technik und Software (von letzterem konnte ich in meiner Filiale nur träumen…).

Beim Lehrpersonal ist es wie an anderen Schulen auch: motivierte (junge) Lehrer, extrem unmotivierte Lehrer die seit 30 Lehrjahren exakt das gleiche Programm abspulen. So ist es aber auf allen Schulen die ich so erlebt habe.

Die Kundschaft

Wer leidet in diesem Land an einer Hörminderung? Richtig. Hauptsächlich alte Menschen. Wer Hörakustiker werden will muss sich darüber im klaren sein, dass er/sie den ganzen Tag mit Senioren verbringt. Und damit meine ich den ganzen Tag. Ein Kunde der erst 60 ist wird dir dann extrem jung vorkommen. Viele dieser Kunden sind seit Jahren alleine und/oder hören seit 20 Jahren nicht mehr richtig. Es kann sehr mühsam sein mit diesem Kundenklientel umzugehen. Sozialverhalten wurde durch diese Lebensumstände manchmal komplett verlernt. Diese Kunden sind dann oft ich-bezogen und können nicht verstehen, dass sie nicht das Zentrum des Universums sind. Einige sind vergesslich, viele haben Demenz – mit all diesen Dingen ist man tagtäglich konfrontiert. Das kostet Energie. Alle Berufe die mit Menschen zu tun haben oder am Menschen stattfinden sind anstrengend. Jede/-r der im Kundenkontakt gearbeitet hat, wird das bestätigen können.

An die unkomplizierten und freundlichen Kunden erinnert man sich leider viel zu selten. Warum? Weil diese KundInnen Hörgeräten offen gegenüberstehen, weil sie sich wirklich freuen wieder besser zu hören und nicht den Anspruch haben ihr altes Gehör wiederzukriegen (was die komplizierten Kunden oft denken). Leider ist ein AkustikerIn kein Hör-Gott. Man kann nur so viel aus einem Gehör herausholen wie eben noch da ist. Hörverlust ist Hörverlust und irreparabel. Harter Fakt. Die freundlichen Kunden jedenfalls können ganz goldig sein: viele bringen als Dankeschön Getränke und Süßigkeiten mit oder geben für eine simple Kontrolle Trinkgeld. Das ist natürlich sehr nett. Aber das beste an diesen Kunden ist eben, dass sie freundlich sind.

Fazit

Wenn du all diese Punkte bedacht hast und Akustik immer noch voll dein Ding ist – go for it! Es gibt wunderbare AkustikerInnen, die lieben ihren Beruf! Und es ist ein toller Beruf. Man tut etwas ganz wertvolles – Menschen zum Hören verhelfen und manchmal aus der (beginnenden) Isolation befreien. Das ist ein tolles Gefühl. Man kann auch – so wie ich – Feuer und Flamme für das Thema Hörakustik sein und einen ganz anderen Beruf ergreifen. Ausgelernte Berufe in der Gesundheitsbranche sind gefragt. Man kann bei Krankenkassen im Büro arbeiten, über das Thema schreiben 😉 sich zum Techniker oder Pädakustiker weiterbilden usw….

Als ausgelernter Hörakustiker wirst du nie Arbeitslos sein.

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?

Was ist eure Meinung zu dem Thema? Habt ihr Erfahrungen in der Hörakustik-Branche gemacht? Seid ihr auch Akustiker-Azubis?

Beitragsbild: Photo by Green Chameleon on Unsplash

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6 Antworten

  1. helga sagt:

    Ein Gehalt in der Hörakustik klingt ja interessant. Für einen Azubi ist es wirklich nicht so attraktiv, aber für einen Meister doch! Danke für den Tipp! Der Neffe steht eben vor der Berufswahl, kann nichts Bestimmtes treffen.

  2. Karin sagt:

    Hallo.
    Dieses nette Heft habe ich in der Berufsschule nicht bekommen,da hieß es:das was ihr im Betrieb lernen müsst,steht im Ausbildungsrahmenplan und in der Ausbildungsordnung.
    Zu dem Azubi-Lohn:ja,das ist wenig,ABER danach hat man sehr große Chancen auf einen unbefristeten Vertrag.Ich kann aus eigener Erfahrung sagen,wie ätzend befristete Verträge sind.
    Ich habe bereits eine abgeschlossene Ausbildung und da war der Lohn in der Ausbildung zwar höher,danach gab’s aber nur befristete Verträge.
    Deshalb bin ich sehr froh,dass ich diese Ausbildung machen kann.
    Die Qualität der Ausbildung,das kommt immer auf den Betrieb an.Aber das ist nicht nur in der Hörakustik so.?
    Alles in allem denke ich,dass es schlimmer sein könnte.Die Arbeitsbedingungen sind noch ok,da sieht es z.B. in der Pflege ganz anders aus…

    Gruß

  3. Enjahoertwas sagt:

    Hey Miriam,
    Lieben Dank für die Antwort! 🙂 ja, mindestens eine Freundin von mir machen ebenfalls diese Ausbildung. 🙂 Klingt alles sehr verlockend! ich werde es mir noch sehr gut überlegen! ?

    Liebe Grüße,
    Enja

  4. Jana sagt:

    Hallo!

    Es gibt keinen Satz in deinem Bericht, dem ich nicht nickend zugestimmt habe beim lesen. Ich bin Azubi in der Hörakustik, bei einem großen Unternehmen und bin so dermaßen unzufrieden mit der Gesamtsituation…
    Aber erstmal: Ich liebe diesen Job. Ich liebe die Hörakustik an sich und finde sie total interessant! Es gibt nichts, was ich an unserem Handwerk nicht mag. Aber mein Arbeitgeber nimmt mir häufig mit etwas zu viel Einsatz die Freude daran.
    Die Qualität der Ausbildung ist extrem Ausbilderabhängig, da hast du sehr Recht. Und überhaupt einen Ausbilder zu haben gehört auch zu den Luxus-Dingen, die jetzt nicht immer gegeben waren in meiner Laufbahn als Akustik-Azubi. Und Individualität wird in einer großen firma auch nicht gern gesehen. Najaaaa. Ich will mich nicht zu viel beschweren, es ist ein wunderbarer Job. Finde ich aber sehr gut, dass dein Beitrag zur Ausbildung so ehrlich ausgefallen ist und ich bzw. Viele viele andere nicht allein sind mit diesen unangenehmen Erfahrungen.
    Ganz liebe Grüße und weiter so!

  5. Miriam sagt:

    Liebe Enja,
    in der Berufsschule in Lübeck gibt es neben den Azubis im „Durchschnittsalter“ auch sehr sehr viele Umschüler. Auffällig alt ist man dort nie 😉 Ich möchte die Zeit in Lübeck nicht missen. Hier trifft sich die ganze Bundesrepublik und viele SchülerInnen sind dort Hörgeräteträger 🙂 es gibt keinen besseren Ort um Kontakte zu knüpfen. Wenn du noch den richtigen Ausbildungsbetrieb findest kann nichts mehr schiefgehen.
    Beste Grüße !
    Miriam

  6. Enjahoertwas sagt:

    Sehr interessanter Beitrag! Auch ich war schon öfter am überlegen, eine zweite Ausbildung zur Hörgeräteakustikerin zu machen, da ich gern Menschen, die das gleiche Handicap haben wie ich, helfen möchte. Danke für die detailgetreue Veranschauung!! 🙂
    Lieben Gruß,
    Enja